Radikale Demokratie – die Mainzer Republik

Platz der Rep FERTIg

Heute Sitz des Landtages von Rheinland-Pfalz: Der ehemalige Deutschhausplatz nach seiner Umbenennung.                                                   Foto: Martin Bahrmann / CC BY-SA 3.0

Rheinhessen als Ort der ersten Demokratie auf Deutschen Boden? Seit März 2013 ist die Frage im Herzen von Mainz angekommen – der ehemalige Deutschhausplatz wurde in den „Platz der Mainzer Republik“ umbenannt.  Am heutigen Sitz des Landtages traten im Frühjahr 1793 Abgeordnete zusammen, die zwischen Mainz, Bingen und Landau für den „Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent“ frei gewählt worden sind. Wenige Monate später erklärten sie die Unabhängigkeit – die sogenannte „Mainzer Republik“ entstand. Die Bedeutung für die Geschichte der Demokratie in Deutschland ist umstritten.


 „Der erste radikaldemokratische Versuch deutscher Jakobiner, eine Republik zu gründen“

BUNDESTAGSPRÄSIDENT NORBERT LAMMERT


Am 18. März 2012 erinnerte Bundestagspräsident Lammert anlässlich der Bundespräsidentenwahl in seiner Ansprache die Bundesversammlung an den geschichtsträchtigen Gehalt des Datums. Am 18. März 1848 begannen die Barrikadenkämpfe in Berlin. Die dadurch eingeleitete Revolution führte zum Paulskirchenparlament. Gemeinhin gilt dies als die Geburtsstunde des demokratischen Parlamentarismus in Deutschland. Doch Lammert erinnerte zudem explizit an den 18. März 1793 – den Tag der Unabhängigkeitserklärung der Mainzer Republik.

Französische Revolution in Mainz

Freiheitsbaum

„Passanten: Dieses Land ist befreit“- Aquaraellzeichnung eines Freiheitsbaumes von J.W. von Goethes (1792, vor Schengen in Luxemburg).

Damals stand Mainz unter der Besatzung des seit 1789 revolutionär gesinnten Frankreichs. Ein städtischer Jakobinerclub gründete sich am 23. Oktober 1792. Ein Tag zuvor hatte General Adam-Philippe de Custine die Stadt mit seinen Soldaten besetzt. Die ohnehin schwach verteidigte Stadt war kampflos übergeben worden. Der Stadtherr, Erzbischof und Mainzer Kurfürst von Erthal geflohen.

Ab dem 3. November ragte dann der erste Freiheitsbaum am Mainzer Höfchen in die Höhe. Geschmückt mit Jakobinermütze und den französischen Fahnen – ein Symbol für die Freiheits- und Gleichheitsideale der Französischen Revolution. Das Spektakel wiederholte sich in  vielen rheinhessischen und pfälzischen Gemeinden.

radikal zur Wahl

Am 10. Februar 1793 war es jedenfalls soweit: Die Franzosen erließen die maßgelblich vom Mainzer Intellektuellen Georg Forster entworfene Wahlordnung. Bereits 14 Tage später, am 24. Februar fand die erste „moderne“ Wahl in Deutschland statt: Geheim, gleich und frei für alle männlichen Bürger mit 21 Jahren sollte sie sein. Gewählt wurden in Mainz und den einzelnen (aber nicht allen) Orten in Rheinhessen auch die lokale Verwaltungsspitze.

Es sei ein radikaler Demokratieversuch, ein Parlament mit „Jabkobinern ohne Volk“, gewesen, wertet Lammert die Geschehnisse. Er orientiert sich dabei offensichtlich an dem Mainzer Historiker Franz Dumont (1945-2012), der maßgeblich zur Erforschung der Mainzer Republik beigetragen hat (seine Thesen siehe unten zusammengefasst).


Die Wahl am 24. Februar 1793

Maßgeblicher Vorantreiber der Wahlen von 1793: Georg Forster (1754-1794). Gemälde von J. H. W. Tischbein

Maßgeblicher Vorantreiber der Wahlen von 1793: Georg Forster (1754-1794).                                    Gemälde von J. H. W. Tischbein (um 1785)                     Quelle: Wikipedia

  • Wahlberechtigt: Alle Männer über 21 Jahre.
  • 372 (8%) der insgesamt 4626 Mainzer Wahlberechtigten gingen zur Wahl. Die geringe Beteiligung ist vor allem auf einen Boykottaufruf der Zünfte zurückzuführen. Sie wendeten sich damit gegen die drohende Auflösung, die kurz zuvor durch die Franzosen angeordnet worden war.
  • 250 der insgesamt 700 Gemeinden in Rheinhessen und der Pfalz galten als durch die Franzosen „befreit“.
  • Alle zur Kurpfalz und zu Zweibrücken gehörigen Gebiete waren (auf Grund der Neutralität des dortigen Landesherren) von der Wahl ausgenommen.
  • Die Hälfte der insgesamt 250 „befreiten“ Gemeinden Rheinhessens und der Pfalz entsandten schließlich „Deputierte“.
  • Quelle: Dumont, Mainzer Republik, S.45ff.

widerstand der bevölkerung

Allerdings seien zu diesem Zeitpunkt nach Dumont rund 20.000 französischen Soldaten in der Stadt einquartiert gewesen – mehr als zivile Einwohner. Teile der zum (vorletzten) Mainzer Kurfürst Erthal haltenden Mainzer Stadtbevölkerung (darunter viele Angestellte am Hofe) sind quasi mit ihrem vormaligen Stadtherren aus der Mainzer Residenz geflohen. Zudem war Bedingung für die Ausübung des Wahlrechts der Schwur vor der Stimmabgabe auf „Freiheit und Gleichheit“, also auf die französischen Revolutionsideale. Dagegen wehrten sich große Teile der Bürgerschaft, denn sie wollten sich nicht auf ein revolutionäres System festlegen müssen.

Dementsprechend umstritten war und ist die Frage, in wie weit von Demokratie zu sprechen ist. Hier hat sich Dumonts pragmatisch-skeptische Haltung zumindest in der Wissenschaft mehrheitlich durchgesetzt. Dennoch: Die Bedeutung der Mainzer Republik ist für die Deutsche Demokratiebewegung nicht zu unterschätzen. Erstmals konnte sich letztlich kein der Bürger zumindest der Diskussion über Demokratie, Individualrechte und Form der Republik entziehen.

Anschluss an Frankreich wird verhindert

Doch der radikale Versuch, Demokratie zu erzwingen, wurde spätestens im Juli 1793 unterbrochen. Nach einer dreimonatigen Belagerung von Mainz maschierten die österreichisch-preußischen Truppen des Alten Regimes wieder ein. Ohnehin hatte das Parlament zuvor seine eigene, vollständige Souveränität auch per Beschluss aufgegeben: Am 21. März hatten bereits die Mainzer Deputierten den Anschluss an Frankreich beantragt – der dann Ende März auch in Paris angenommen wurde. Am 31. März tagte der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent zum letzten Mal in Mainz.


Erste Franzosenzeit und Mainzer Republik

Französische Revolutionsideale: Das Siegel des Mainzer Jakobinerclubs

Französische Revolutionsideale: Das Siegel des Mainzer Jakobinerclubs

  • 30. September 1792: Französischer  Überraschungsangriff auf Speyer beginnt die Französische Expansion in die Pfalz und Rheinhessen
  • 4. Oktober 1792: Der Mainzer Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal flieht aus Mainz
  • 22. Oktober 1792: Besetzung von Mainz durch Truppen des französischen Generals Custine
  • 23. Oktober 1792: Gründung des Mainzer Jakobinerclubs
  • 24. Februar 1793: Wahlen zum „Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent“ in Mainz, Teilen von Rheinhessen und der Pfalz
  • 18. März 1793: Die Deputierten in Mainz beschließen die Unabhängigkeitserklärung des  „Rheinisch-Deutschen Freistaats“
  • 30. März 1793: Annahme der im Nationalkonvent beantragten Anschlusses an Frankreich
  • 14. April 1793: Beginn der Mainzer Belagerung durch preußisch-österreichische Truppen
  • 23. Juli 1793: Rückeroberung von Mainz durch preußisch-österreichische Truppen

Von mainz nach Hambach

Schließlich folgte der Friedensschluss zwischen Preußen, Österreich und Frankreich – und damit ab 1797 zur zweiten „Franzosenzeit“ in Mainz. Napoleon führte dabei 1804 der Code Civil auch im „Department du Mont-Tonnere“ (Donnersberg) ein.  Die Rechtssituation entwickelte sich somit „von oben“ bestimmt hin weiter, hin zu mehr Individualrechten wie persönliche Freiheit und Eigentum – was auch Forderungen der französischen Revolution und der Jakobiner in Mainz waren.

Die Restauration nach Napoleons Niederlage, durchgeführt im Rahmen des Wiener Kongresses 1814/15, sollte das wieder in Frage stellen. Aber es sind personelle Kontinuitäten im politischen Engagement innerhalb der 1793 beteiligten Familien festzustellen, zum Beispiel hin zum Hambacher Fest 1832.


Mainzer Republik: Kernthesen von Franz Dumont

  • Doppelgesicht der Mainzer Republik: französischer Revolutionsexport und zugleich deutscher Demokratieversuch.
  • Grundlage: Französische Besetzung Mainz, Rheinhessens und der Pfalz.

    Die Franzosenzeit in Rheinhessen: Karte des Département du Mont-Tonnerre.

    Die Franzosenzeit in Rheinhessen: Karte des Département du Mont-Tonnerre.                 Original: Museum der Kaiserpfalz, Ingelheim

  • Ziele des revolutionären Frankreichs: Befreiung und zugleich Eroberung.
  • Jakobiner waren in allen Schichten vertreten. Führend jedoch Beamte und Intellektuelle.
  • Scheitern der Mainzer Republik begründet durch mangelnde Akzeptanz (Widerstand vor allem in Zünften, Geistlichen und Großbürgern) und innere Widersprüche (Besatzungsherrschaft, „Zwangsbefreiung“).
  • Aber: Politisierung breiter Schichten; auch relevant für zweite Franzosenzeit (1798-1814).
  • Vollständig abrufbar unter: Dumont, Mainzer Republik, S.97f.

 mainz als ausgangspunkt für die demokratische bewegung

Die Ideen der Volkssouveränität und parlamentarischen Repräsentation haben somit in jedem Falle erstmalig mit der Mainzer Republik im heutigen Deutschland tiefe Spuren in der Bevölkerung hinterlassen. Doch zunächst ohne erkennbaren Erfolg – das revolutionäre Pendel schlug erstmal zurück: Die Jakobiner waren nach dem Ende der ersten Franzosenzeit 1793 in Mainz schlecht gelitten und wurden verfolgt. Der Kurfürst kehrte zunächst zurück.

Von einem Ausgangspunkt der demokratischen Bewegung zu sprechen, ist sicher für die Mainzer Republik angemessen. Von der ersten „modernen“ Demokratie auf deutschem Boden zu sprechen wäre jedoch übertrieben: Dafür mangelte es am Partizipationswillen der Bevölkerung, die Wahlen wurden beispielsweise von den Zünften in Mainz boykottiert, da ihre Zerschlagung angedroht wurde. Viele Orte der Region zudem wollten sich nicht beteiligen, aber andere waren parat. Denn 125 Abgeordnete waren zumindest gewählt worden – hier zwischen Landau, Bingen und Mainz.


 

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